GB 01/2021: Mein Messdienermoment

Ein Blick auf die neue Jahreszahl hat mir verraten, dass sich im Sommer zum fünfzehnten Mal mein erstes Messdienertreffen jährt. An so ganz viel kann ich mich ehrlicherweise nicht mehr erinnern, weshalb dieses Treffen wohl niemals dieser eine ganz besondere Moment sein wird, der aus allen heraussticht. Ein Erinnerungsfetzen hangelt sich jedoch entlang an einer Verabschiedung von scheidenden OBMs*. Ganz ehrlich: Ich hatte keinen Plan, wer diese Personen waren und es war mir auch egal, schließlich sah ich die Personen zum ersten – und für ziemlich lange Zeit – zum letzten Mal. Die Reaktionen der Menschen um mich herum in Form von Dankbarkeit, Verbundenheit und auch Trauer, zeigten jedoch eindrücklich, dass es wichtige Menschen waren!

Seitdem bin ich nicht nur verdammt alt geworden, sondern es sind auch viele weitere Momente hinzugekommen. So viele, dass es wirklich an Selbstkasteiung grenzt diesen Einen zu finden. Die Fahrt nach Ameland zum Beispiel! War. Das. Geil! Oder die 24-Stunden-Rennen ums Kloster! Erst letztens habe ich meine Bildersammlung sortiert und bin lachend über manche Bilder gestolpert. Solche Tage sind eher Fluten an Erinnerungen. Man wird mit tollen Momenten praktisch erschlagen. Aber dieser eine Moment? Die beste Erinnerung aus allen? Ist die da dabei?

Capture-Chaos in Mönchengladbach
Am Ende ist es eine Szene während einer für mich besonderen Fahrt geworden: Pfingsten 2015 fuhr ich das erste Mal als Leiter mit. Zum ersten Mal stand ich nicht auf der Seite der Neugierigen und stellte mir die Frage, was mich dieses Jahr wohl an Spiel, Spaß und Spannung erwartet, sondern durfte selbst mitgestalten, planen und organisieren. Und eben aus solch einem Spiel, bei dem ich im Vorhinein stark in die Planung involviert war, stammt meine Erinnerung. Natürlich könnte ich jetzt behaupten, dass bei dem Spiel alles wie geplant gelaufen ist, alle mega viel Spaß gehabt haben, ich der tollste Spielleiter der Erde gewesen bin, alle zu mir aufgeschaut haben und deshalb dieser Moment alles für mich bedeutet. War aber einfach nicht so.

Am Vormittag sollten sich mehrere Gruppen darum bemühen Burgen zu bauen und sich über Minispiele Vorteile verschaffen. Soweit wie geplant! Am Nachmittag startete dann der zweite Teil, der unter dem kurzen und knackigen Motto „Capture the flag and burn the selfmade castle“ stand. Bei einem Capture the flag stehen sich in der Regel zwei Parteien gegenüber, die die Flagge der anderen Partei in ihre eigene Basis bringen müssen. Dabei kann man gefangen werden, sobald ein Gegner einem ein Lebensbändchen aus der Tasche zieht. Selbst diese simple Spielform kann sehr wohl im Chaos enden, bloß dass wir diese Variante nicht mit zwei, sondern mit fünf Parteien gespielt haben. Erschwerend kam hinzu, dass sich das Spielfeld vor allem im stark bewaldeten Bereich der Jugendherberge befand. Zu behaupten, dass die Spielleitung das Geschehen nicht ganz unter Kontrolle hatte, wäre untertrieben. Zwischendurch mussten Regeln dazuerfunden werden, damit sich das Spiel nicht in einem kompletten Tohuwabohu auflöst. Dies mündete sogar in der Aussprache von Zeitstrafen, mit der Hoffnung manche Gemüter ein wenig runterzukochen. Selbst das funktionierte nur mäßig.

Einer der Hauptprotagonisten in dieser einen besonderen Szene ist ein gewisser Pater Josef Prinz. Bei Pater Josef habt ihr sicherlich den netten, zurückhaltenden, nicht zu großen und eher weisen Österreicher im Kopf. Manchmal gewann man den Eindruck er ohne die prunkvollen Gewänder am Altar in der Menge untergehen würde. Dieses Bild bringt uns hier jedoch nicht weiter. Ihr könnt das Bild vergessen! Jetzt sofort! Auf der Stelle! Es ist schlicht nicht zutreffend! Zumindest nicht immer. Sobald Pater Josef sich in sein Auto Richtung Messdienerfahrt gesetzt hat, war er nicht mehr wiederzuerkennen. Und damit spiele ich explizit nicht auf seine für Messdienerfahrten sehr typischen Dreiviertelhosen an! Manchmal gewann man den Eindruck, dass Pater Josef der Messdienerfahrt mehr entgegengefiebert hat als so manches Kind. Dieser unbedingte Wille in den Augen, diese Freude an allem und jeden zeichnete ihn Jahr um Jahr aus. Ich weiß, dass Priester durchaus mit ihren Vorgängern und Nachfolgern verglichen werden und dass Gemeindemitglieder die Stärken sowie Schwächen der Geistlichen detailliert analysieren. Ich bin mir aber auch sicher, dass viele von dieser Facette nun überrascht sind.

Jedenfalls übte sich Pater Josef ebenso wenig in Zurückhaltung wie alle anderen und stand nun auf der Jagd nach Lebensbändchen einem jüngeren Messdiener gegenüber, der ebenso drauf und dran war, Pater Josef das Bändchen zu stehlen. Beide vollführten einen Tanz, bei dem sie versuchten, das Lebensbändchen vor der Hand der anderen Person abzuschirmen. Es mischte sich auch niemand ein, was vermutlich an dem Feld dichter und knöchelhoher Brennnesseln lag, in dessen Mitte sich beide befanden. Und das ist er: Der Moment! Mein Moment!

Moment, was? Warte! Wieso ausgerechnet dieser?
Beide waren im Tunnel, konzentriert auf die Aufgabe. Beiden war es egal, wer sich ihnen gegenüberstand. Sie waren sich ebenbürtig. Beide haben absolut vergessen wo sie sich befanden. Sie befanden sich im Auge eines Sturms: Unfassbare Ruhe, unfassbarer Fokus, während um sie herum alle umherwirbelten. Eine Szene, die immer wieder Faszination bei mir auslöst. Ein Moment, den ich so klar vor meinen Augen habe, als wäre er vor wenigen Minuten passiert. Ein Moment, an dem ich selbst das hektische Treiben für längere Zeit staunend vergaß. Ein Moment, der für mich wie keiner anderer für Messdienerfahrten steht. Ein Wochenende, an dem man vergisst, wer man ist, wo man ist und welche Sorgen daheim auf einen warten. Ein perfekter Moment.

*Was heißt eigentlich OBM?
Der Begriff taucht hier aus Nostalgiegründen auf. OBM steht für Obermessdiener*innen, jedoch stört uns mittlerweile einiges an dem Wort: Wir sind nicht etwas Besseres als „normale“ Messdiener, sondern die Organisator*innen im Hintergrund. Wir wollen nicht als „von oben herab“ wahrgenommen werden, sondern sind Teil der Gruppe, die Leitplanken setzt. Daher verwenden wir intern diesen Begriff seit ein paar Jahren nicht mehr und bitten alle uns Messdienerleiter*innen zu nennen.